Viel zu wenig Physiotherapie wegen Kniegelenksproblemen
Erstautor Jean-Pascal Grenier von der Donau-Universität Krems, auch am Ludwig Boltzmann Institut für Rehabilitationsforschung in Wien tätig, und seine Co-Autoren haben versucht, die Frequenz physiotherapeutischer Maßnahmen von Studienpatienten mit schweren Kniegelenksarthrosen vor einem künstlichen Gelenksersatz in 18 klinischen Untersuchungen mit 579.718 Probanden zu analysieren. Die Ausgangslage, so die Wissenschafter in der wissenschaftlichen Zeitschrift "Musculoskeletal Care" (doi: 10.1002/msc.1726): "Durch den demografischen Wandel steigen die Häufigkeit von Kniegelenksarthrosen und die Häufigkeit des künstlichen Total-Kniegelenksersatzes ständig."
Die Medizin hat darauf längst reagiert. Die Experten: "Die Leitlinien für die klinische Praxis in der Behandlung der Kniegelenksarthrosen empfehlen übereinstimmend nicht-chirurgische Interventionen wie Training, Schulung und die Reduktion von Übergewicht." Durch solche Maßnahmen kann die Notwendigkeit eines künstlichen Kniegelenks samt schwerer Operation und auch einem gewissen Risiko oft zumindest hinausgezögert werden. Zusammen mit einer regelmäßigen Kontrolle, Schmerztherapie und Medikamenten bei auftretenden Entzündungen lassen sich solche Probleme oft managen.
Die Autoren der Studie analysierten deshalb die Daten aus 18 Studien mit fast 600.000 Probanden. Das Ergebnis, so die Wissenschafter: "Die Häufigkeit von Physiotherapie vor künstlichem Kniegelenksersatz schwankte zwischen zehn und 73 Prozent. Nur in zwei Studien lag die Häufigkeit höher als 60 Prozent. Frauen, ein höheres Einkommen, ein besserer sozioökonomischer Status, höhere Bildung und höheres Alter waren mit häufigerer Physiotherapie verbunden."
Eine bessere "konservative" medizinische Versorgung von Patienten mit Kniegelenksarthrosen wäre jedenfalls ausgesprochen wichtig. Immerhin gibt es für die chirurgischen Eingriffe derzeit oft lange Wartezeiten in Österreich. So erklärte Andreas Stippler, Bundesfachgruppenobmann für Orthopädie und chirurgische Orthopädie, vor kurzem bei den Praevenire Gesundheitstagen in Seitenstetten (NÖ) zur aktuellen Situation: "Es gibt große Probleme für unsere Patienten. Tausende warten auf ihre geplanten Eingriffe. Allein im Krankenhaus Stockerau (NÖ; Anm.) ist die magische Grenze von 1.000 auf geplante Eingriffe wartenden Patienten überschritten."
Es gebe einfach zu wenige Angebote in der konservativen Orthopädie, zu der auch physiotherapeutsche Maßnahmen gehören können. Stippler sagte: "Wir sind im internationalen Vergleich Europameister im Operieren von Knie- und Hüftgelenken mit Endoprothesen." Man könne durch eine optimale konservative Versorgung wohl auch den großen zahlenmäßigen Anfall von PatientInnen für die Versorgung künstlichen Gelenken in bestimmten Grenzen halten.
Die Zahlen des OECD-Berichts "Health at a Glance" (2022) mit dem Vergleich der wesentlichen Daten für das Gesundheitswesen der Mitgliedsländer der Organisation sprechen zu diesen Feststellungen eine deutliche Sprache: 2019 lag Österreich mit 229 Knie- oder Hüftgelenksendoprothesen pro 100.000 Einwohner an zweiter Stelle bei der Frequenz dieser Operationen in der EU. An erster Stelle war Finnland (242/100.000). Unter den OECD-Mitgliedsländern lag nur noch die Schweiz mit 260 solcher Eingriffe pro 100.000 über diesem Wert und damit am ersten Rang. In Österreich kam es im Gegensatz zu Ländern wie Finnland und der Schweiz durch Covid-19 zu einem starken Rückgang dieser Eingriffe (auf 181 Operationen pro 100.000 Einwohner und Jahr), was den nunmehrigen Rückstau gut erklärt. Der OECD-Durchschnitt für diese Eingriffe lag 2019 bei 133/100.000 Einwohner, im Jahr darauf bei 104, was jedenfalls auch insgesamt für einen Corona-bedingten Rückgang spricht.
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